Das erstaunliche am Fachkräftemangel ist, das er zwar in aller Munde ist aber doch auf so unterschiedliche Weise wahrgenommen und bewertet wird.

Unbestritten haben die demographische Entwicklung und auch die positive wirtschaftliche Entwicklung dazu geführt, dass es in bestimmten Bereichen und Regionen tatsächlich mehr offene Stellen als wechselwillige Bewerber oder Nachwuchskräfte gibt.

Wie weit das Problem aber verbreitet ist und vor allem, wie weit es tatsächlich in die Arbeitswirklichkeit reicht, ist Gegenstand hitziger Debatten.

Das liegt zunächst daran, das bereits zwei wesentliche, grundlegende Züge des Fachkräftemangels teilweise nicht gesehen oder aber nicht anerkannt werden.

Wir hatten bereits an anderer Stelle beschrieben, das dem Fachkräftemangel eine starke regionale Komponente innewohnt, die allerdings unterschiedliche Auswirkungen hat. So haben es Unternehmen in boomenden Regionen häufig einfacher, Fachkräfte zu rekrutieren, weil es viele Menschen in eine bestimmte Region zieht. Kehrseite ist dann allerdings ein größerer Wettbewerb um die vorhandenen Arbeitskräfte, welcher mit anderen Faktoren, wie steigenden Mieten oder einem knappem Wohnungsangebot zusammentrifft.

Gleichzeitig ist das Problem, in bestimmten Berufszweigen zu bestimmten Zeiten ein zu geringes Angebot an ausgebildeten Bewerbern, sog. Fachkräften, zu haben, keine neue Entwicklung. Gerade der letztgenannte Umstand war immer schon recht wankelmütig, stehen hier doch in besonderem Maße gesamtwirtschaftliche Entwicklungen und Absatztrends dahinter, die beeinflussen, welche Wirtschaftszweige besonders stark ausgelastet sind und daher Fachkräfte nachfragen. Sie stehen in Konkurrenz zu den wirtschaftlichen Dauerbrennern, die beständig auf hohem Niveau agieren und daher einen relativ gleichbleibenden, hohen Bedarf an Fachkräfte haben, wie z.B. die Automobil- oder Chemieindustrie.

Zudem tut die Digitalisierung hier ein übriges, so das sich die Wertigkeit einzelner Berufsgruppen in den letzten Jahren massiv verschoben hat. Was früher eine angesehene Anstellung auf Lebenszeit war, hat heute nur noch einen begrenzten Horizont und wird mittelfristig voraussichtlich zumindest in seiner heutigen Ausprägung, ganz verschwinden, wie z.B. der Bankkaufmann.

Viele Handwerksbetriebe dürften zwar eine gewisse Genugtuung darüber empfinden, dass Handwerk immer noch goldenen Boden hat – die Nachwuchsprobleme sind allerdings teilweise so massiv geworden, dass es in einigen Region nahezu unmöglich ist, einen Handwerker in annehmbarer Zeit beauftragen zu können.

Hier spielt dann eine weitere Komponente eine Rolle. Denn sowohl politisch als auch aus den Reihen der verantwortlichen Interessenvertreter, sind im Handwerk in den letzten Jahrzehnten massive Fehler bei der Fachkräftesicherung gemacht worden. Fairerweise muss man sagen, dass durchgehend hohe Auslastungen oft den Blick für die wahren Probleme der Branche verstellt haben. Die Motivation von Jugendlichen, in diesen Berufsfeldern zu arbeiten, hält sich in Zeiten des Ansturms auf die Universitäten allerdings ebenfalls in Grenzen. Dieser Trend ist anders herum aber bereits seit langem bekannt und wurde vor allem im Handwerk zu spät bekämpft. Das ist umso bedauerlicher, als das es sicher viele junge Menschen gibt, die sich hier eine stabile berufliche Zukunft aufbauen könnten, die die meisten ja eigentlich suchen und, anders herum, ihnen mit zu vielen Studienabschlüssen voraussichtlich verwehrt bleiben wird.

Denn auch die jeweils für das  Bildungssystem Verantwortlichen haben viel zu spät den Handlungsbedarf erkannt und so studieren heute immer noch junge Menschen Dinge, die Ihnen vielleicht Freude machen, die aber an den Herausforderungen der Arbeitswelt komplett vorbeigehen. Natürlich kann nicht jeder ein Programmierer werden aber das bestimmte Bereiche, wie das Gesundheitswesen, seit Jahren abgeschottet werden und es zudem so gut wie keine berufliche Beratung bei der Auswahl der Studiengänge gibt, muss als Fehler angesehen werden. Die Einführung von Bachelor und Master Studiengängen hat an diesen Problemen jedenfalls augenscheinlich nicht viel geändert.

Das vorausgeschickt, verwundert es nicht, dass immer wieder die Frage gestellt wird, ob es denn wirklich so weit her ist mit dem Fachkräftemangel, besteht doch die Möglichkeit, trotz bester Lage am Arbeitsmarkt immer noch durch das Raster zu fallen und Schwierigkeiten bei der Suche nach einem neuen Job zu haben.

Nun sollte zunächst klar sein, dass neben den obigen Ausführungen auch alle Menschen unterschiedlich sind. Jeder geht anders an Herausforderungen heran oder hat ein anderes „Mindset“, um den Berufseinstieg zu meistern. Kombiniert mit den fachlichen und regionalen Unterschieden gibt es nicht selten die Situation, das in einer Region eine bestimmte Fachrichtung gesucht wird, in anderen Regionen jemand mit der identischen Ausbildung aber keinen Job findet. Demjenigen fällt es dann schwer, an den Fachkräftemangel zu glauben.

Daraus folgt, dass der Arbeitsmarkt in vielen Bereichen immer noch zu undurchlässig ist und auch die Arbeitswirklichkeit weiter an Mobilität aber vor allem dem lebenslangen Lernen gewinnen muss. So wie sich die Voraussetzungen am Arbeitsmarkt ändern, wird sich für viele Menschen die Herausforderung ergeben, die eigene Qualifikation an die veränderten Gegebenheiten anzupassen. Das kann nur gelingen, wenn von Seiten der Wirtschaft aber auch der Verwaltung und Gesetzgebung, die passenden Instrumente und Rahmenbedingungen geschaffen und bereitgestellt werden.

Wenn sich dann noch alle Beteiligten einig sind, dass es regelmäßig Anpassungs- und Weiterbildungsbedarf gibt, wird auch der Fachkräftemangel jedem einzelnen besser verständlich. Mehr noch, es sollte als normal angesehen werden, die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse weiter auszubauen.

Den Arbeitgebern fällt damit die Aufgabe zu, sich diesen Herausforderungen zu stellen und bei der Personalauswahl nicht mehr nur nach den oberen 10 % zu suchen, sondern mittel- bis langfristig in den Aufbau qualifizierter Belegschaften zu investieren. Schon heute muss jede Personalpolitik scheitern, die sich nicht auch mit Talenten der sog. zweiten Reihe befasst und Quereinsteigern keine Chance gibt.

Das all dieses durch die Dynamik der fortschreitenden Digitalisierung und die Herausforderungen am Weltmarkt kein Kinderspiel wird liegt auf der Hand.

Wenn aber alle Beteiligten am Arbeitsmarkt, der Politik und den Verwaltungen diese Herausforderung annehmen und die alten Grabenkämpfe zurückstellen, könnte aus dem Fachkräftemangel ein positiver Effekt gezogen werden, der die erfolgreiche Neuausrichtung der berufsbildenden und begleitenden akademischen Systeme für die Herausforderungen des zukünftigen Arbeitsmarktes zum Ergebnis hat.